Heimgang von Gertrud Weber am 29.9.2022

„Ich hatte ein langes, reiches und erfülltes Leben“ – das sagte Gertrud im vergangenen Jahr immer wieder und zuletzt in der Nacht vor ihrem letzten Atemzug. Am Morgen des 29. September vollendete Gertrud nach langem Leiden friedlich im Schlaf ihr reiches und erfülltes irdisches Leben.

Familie
Gertrud wurde im Februar 1934 in Altach in eine große und gute Familie als 13. und jüngstes Kind geboren. Ihr Vater starb, als sie ein Jahr alt war. Sie meinte öfter „Ich habe ihn gar nicht vermisst“ – was ihrer klugen und tapferen Mutter aus dem Appenzell nicht immer leicht zu hören war. War diese danach doch für 13 Kinder und den familiären Stickerei-Betrieb verantwortlich. Ersetzt haben Gertrud – von ihr aus gesehen – ihre Mutter, die älteren Geschwister, vor allem ihr Bruder Anton – den Vater vollständig. In der Familie wurde wohl ihre tiefe Gläubigkeit (ohne Frömmelei) und ihr großes Vertrauen grundgelegt. Im Beileidsbrief eines befreundeten Priesters, mit dem sie in Jerusalem zusammenarbeitete, heißt es: „Gertrud lebte auch aus den starken Wurzeln ihrer Familie. Davon hat sie oft gesprochen.“

Schule
1940 wurde sie in die Deutsche Volksschule in Altach eingeschult – es war die Zeit unter Hitler, der Annexion Österreichs. Ihre beliebte Klosterschwester-Lehrerin der 1. Klasse wurde durch eine nationaltreue Südtirolerin ersetzt, die den Dialekt nicht verstand. Auch darüber hat sie viele Anekdoten erzählt. Anfangs ging sie aber überhaupt nicht gern zur Schule: „Es ist fad in der Schule, zu Hause und auf dem Schulweg ist es viel interessanter“. Konnte sie doch schon vor der Schule jassen und zählen. Trotzdem las ich im Zeugnisheft der Deutschen Volksschule im sehr guten Zeugnis der 2. Klasse als zusätzliche Bemerkung: „besonders begabt und fleißig“. Danach Besuch der Hauptschule in Dornbirn, dann die dreijährige Hauswirtschaftsschule der Dominikanerinnen in Bregenz-Marienberg. Aus all diesen Zeiten hat sie lebenslang anhaltende Freundschaften geschlossen – ihre große persönliche Fähigkeit. Dass sie dort kein „Duckmäuschen“ war und mit anderen einiges angestellt hat, das kann man ihren Erzählungen sicher glauben.
Ein wenig bedauerte sie immer – inzwischen aber darüber stoisch erhaben – dass sie nicht maturiert und studiert hat.

Beruf-Zeit
Von 1952 an half sie zwei Jahre der Mutter im elterlichen Gewerbebetrieb.
Dann führte sie ihr Weg nach Italien, als Erzieherin von drei strammen Buben der Familie Ghedini, einer wohlhabenden, großzügigen und sozial eingestellten Familie – und zwar ging sie dorthin im Anschluss an ihre ältere Schwester Hildegard. Viel an Abenteuer und Kultur hat sie in Mailand – unter anderem mit Besuchen von Konzerten, Scala-Vorstellungen und Ausstellungen - erlebt. Sie war beliebt und konnte überall mitgehen. Ich muss kaum erwähnen, dass diese Männer bis heute zu Gertrud und der Familie Weber eine lebendige Beziehung pflegen und Italien für sie wichtig ist.
Über ihre anschließende Arbeit als Korrespondentin in der Firma Sika – einem Wirtschaftsbetrieb in Vorarlberg und in der Schweiz - erzählte sie auch viel. Dort stand sie tapfer ihre Frau unter vielen Männern.

London
Dann kam London. „Meine Lebensplanung veränderte sich durch die Begegnung und den Kontakt mit den Frohbotinnen radikal. Mich faszinierte, was dieses kleine Team in der Großstadt London bewirkte. Mehr und mehr versuchte ich Zugang zu den Quellen zu finden, aus denen sie Kraft für den Alltag schöpften und Freude an der gewählten Lebensform. 1963 schloss ich mich der Gemeinschaft der Frohbotinnen in Batschuns an“. Wie ich von Begegnungen aus der damaligen Zeit (wir waren einige Zeit gemeinsam in der Ausbildung) weiß, fiel der weltgewandten jungen Frau unsere damalige eher enge Lebensweise in Batschuns nicht immer leicht. Sie wurde nach ihren Gelübden 1966 zur Mitarbeit im Bildungshaus Batschuns bestimmt.

Bildungshaus Batschuns
Und damit komme ich wohl zu ihrem Lebenswerk. Nach zwei Jahren Mitarbeit schon wurde ihr die Leitung übertragen, die sie dann für über 20 Jahre innehatte. Sie hat das Haus baulich, inhaltlich, spirituell und atmosphärisch weiterentwickelt und geprägt. Öfter wurde mir in letzter Zeit gesagt, dass dieser Geist im Haus spürbar ist.
„Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann“. Dieser beliebte Abzählreim für Kinder spiegelt für mich die Vielfalt des Begegnungsangebots im Bildungshaus wider, an das sich Gertrud wagte und auch ihre Fähigkeit, mit allen zu reden. „Man kann viel lernen und entdecken – aber nur, wenn man sich für das Leben interessiert und sich den Herausforderungen stellt.“ Das hatte sie schon als Kind gelernt. Wenn sie von ihren Geschwistern etwas wissen wollte oder Hilfe erwartete, bekam sie meist zur Antwort: Denk selbst nach und probiere, ob du es nicht auch selbst kannst. Dadurch machte sie schon früh die Erfahrung, dass ihr etwas zugemutet wird.
„Die Welt ist uns als Gabe und Aufgabe anvertraut“ – so steht es in unseren Satzungen – und so versuchte Gertrud, die Zeichen der Zeit
wahrzunehmen und darauf zu reagieren.
Nur einige Blitzlichter ihrer kreativen und vielfältigen Bemühungen:
Die Ausstellungen jüngerer einheimischer Künstler, die von der Akademie kamen, werden wohl mit ihrem Namen verbunden bleiben und sind immer noch – dank freiwilliger kompetenter Helfer – ein Markenzeichen des Hauses.
In den 70-iger Jahren – als dies noch wenig beachtet wurde – begann sie mit Bildung und Erholung für ältere Menschen. Ein Sammelbus fuhr durchs Land und holte die damals noch nicht so beweglichen Älteren – hauptsächlich Frauen -  ab und brachte sie ins Haus. Sie lud die damalige Landesregierung ein, entsprechende Projekte in der Schweiz zu besichtigen – fast die gesamte Regierung fuhr mit. Die Lehrgänge für Altenhilfe begannen. Eine anregende Unterstüztung war ihre dabei ihre gute Freundin Sr. Hildegard Teuschl CS aus Wien, die Pionieren der Palliativarbeit.
Im theologischen Bereich stand ihr ihre Mitschwester Hildegard Lorenz zur Seite. Viele namhafte Theologen kamen gerne ins Haus. Karl Rahner war oftmaliger Gast – als Referent oder auch nur zur Übernachtung auf seinem Weg in die Schweiz. David-Steindl-Rast war schon früh im Bildungshaus und Dorothee Sölle kam des öfteren nach Batschuns  – um zur Begrenzung nur einige zu nennen. Der Theopoet Wilhelm Bruners ist noch ein gern gehörter Referent. Exerzitien sind bis heute ein Teil des Angebots.
Last but not least sorgte sie sich für einen sorgsamen Umgang mit der Umwelt. Z. B. gab es bei den Veranstaltungen zum Bau eines Atomkraftwerks in Österreich heiße Diskussionen. Und junge Architekten präsentierten Modelle ihrer Projekte, die von den örtlichen Baubehörden abgelehnt wurden und für Zündstoff in Gesprächen und in Berichten der Medien sorgten.

Von ihrer künstlerisch kreativen und spirituell fundierten Seite zeugt die Umgestaltung der Hauskapelle nach Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils. In der Gemeinschaft, in der Diözese und in der Bevölkerung musste sie viel Widerstand aushalten und es kostete sie Kräfte.
Aber nicht nur bildende Kunst liebte sie. Die berühmte Lyrikerin Hilde Domin las mehrmals im Haus – was mir persönlich noch eindrücklich in Erinnerung ist.

Ihre langjährige Mitarbeiterin und Mitschwester Anna Rein sagte über sie: Du bist im Bildungshaus deine Frau gestanden. In aller Mühsal, mit aller Kraft und Zielgerichtetheit hast du im Bildungshaus „Heilsgeschichte“ geschrieben“ – sei es beim erfolgreichen Widersetzen, als die Laternserstraße beim Bildunshaus vorbeigeführt werden sollte oder eben beim Umbau der Kapelle mit Arch. Stöckli und Ferdinand Gehr. Legendär waren auch die Abende mit Käseplatte und Wein bei den Gästen.
Als Symbol für all dies steht die Kapelle.“ Ich muss mich beschränken.
Für diese Bemühungen hat sie vier große Auszeichnungen bekommen, von der Diözese, vom Land Vorarlberg und von der Bundesregierung - nie hat sie damit Aufsehen gemacht. Und ich hätte fast vergessen, über ihre schwere Krebserkrankung in den 80-iger Jahren zu berichten.

Rumänien und Jerusalem
Das wohl deswegen, weil die dann pensionierte Gertrud noch in zwei Ländern aktiv wurde. Die Caritas Linz plante Projekte in Rumänien, u.a. den Bau eines Altersheims. Der damalige Linzer Caritasdirektor Joe Mayr, auch ein Freund von Gertrud und unserer Gemeinschaft, erinnerte sich an ihre Fähigkeiten und lud sie zur Mitarbeit ein, die sie auch kräftig einsetzte. Bis heute bestehen auch dorthin gute Kontakte.
Und dann noch Jerusalem. Vom Österreichischen Hospiz kam die Anfrage an die Gemeinschaft, jemanden als Ersatz für eine langjährige Mitarbeiterin zu stellen. Wie Gertrud war, nahm sie auch diese Herausforderung an und ging mit einer gleichaltrigen Mitschwester für zwei Jahre ins Hl. Land. Auch diese Aufgabe forderte und erfüllte sie sehr – und sie war dankbar, dass sie aus der Gemeinschaft, der Familie und ihrem großen Bekanntenkreis Verstärkung bekam.

Zum Schluss
Die letzten 15 Jahre lebte ich mit Gertrud am Altacher Weg 1 zwischen Hohenems und Altach. Unser Zusammensein war immer interessant und beglückend. So war es bis zum Schluss, als Gertrud am Morgen des 29. September nach langem Leiden friedlich im Schlaf ihr reiches und erfülltes irdisches Leben vollendete.

Karoline Artner

Wir danken Gertrud für ihr wahrhaftes, engagiertes und von Glaube und Hoffnung geleitetes Leben. Möge sie nun am himmlischen Festmahl teilnehmen und sich freuen!

Todesanzeige

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